Abseits der Genovevaburg wird auf der kleinen Bühne im Arresthaus in diesem Jahr Tschick aufgeführt. Ein Stück, mit dem sich die Burgfestspiele zum ersten Mal direkt an ein jugendliches Publikum richten. Aber macht es Sinn, den Bestseller von Wolfgang Herrndorf, der ausreichend Stoff für ein Roadmovie mitbringt, in einem Kammerspiel zu inszenieren?
Es ist der erste Tag der Sommerferien und bereits jetzt weiß Maik, der in der Schule auch „Der Psycho“ genannt wird, nicht was er mit sich und der Welt anfangen soll. Seine Mutter ist mal beim jährlichen Entzug, sein Vater mit der Geliebten auf Geschäftsreise. Mit 200 Euro Taschengeld sitzt Maik allen am Pool der elterlichen Villa und träumt verliebt von Tatjana, seiner Klassenkameradin, die alle außer ihn zu ihrer Party eingeladen hat. Da taucht Andrej Tschichatschow, genannt Tschick, vor Maiks Haustür auf, in einem geklauten Lada. Tschick ist neu in Maiks Klasse, ein Proll aus der Hochhaussiedlung, öfters betrunken, ein zwielichtiger Einzelgänger. Entgegen Vernunft und Angst steigt Maik ein. Zuerst wollen die beiden nur um den Block fahren und ungeladen bei Tatjanas Party auftauchen. Dann soll es in Richtung Walachei gehen, um Tschicks Familie zu besuchen. Doch dank Tschicks Motto „Landkarten sind für Muschis“ wird daraus eine sommerliche Deutschlandreise durch Orte mitten im Nirgendwo.

Ein Aufsatz von acht Seiten
Die Handlung spielt überwiegend auf Landstraße und Autobahn. Schnell wird die Reise zur Metapher für Maiks und Tschicks Suche nach Freiheit und Identität. Die eigentliche Geschichte serviert Tino Leo als Maik in überzeugenden Monologen aus seinem Aufsatz über die Sommerferien, der mit acht Seiten das längst war, was er jemals geschrieben hat. Das Publikum nimmt er dabei geschickt mit Ausdruck und charismatischer Interaktion mit auf seine Reise. Als Zuschauer vergisst man sehr schnell, dass man auf den Bistrostühlen vor der Kleinkunstbühne sitzt und fühlt sich als Gast auf einem spannenden Urlaubstripp. Für kurzweilige Unterhaltung und Angriffe auf das Zwerchfell sorgt Jan Rekeszus, der den sonderlichen Russen Tschick herrlich überzeichnet. Mit gekonnter Mimik überzeugen die beiden Hauptdarsteller in einem brillanter Interagieren. In einer flüssigen Darbietung bringen die authentisch wirkenden Schauspieler das Publikum zum Lachen, aber auch zum Nachdenken. Dabei halten sie die Handlung zu jeder Zeit im passenden Tempo.

Der Takt der Geschwindigkeit
Für abwechslungsreiche Ortswechsel sorgt Marie Lumpp, die wandlungsfähig in mehrere Rollen schlüpft. Von der Lehrerin in Maiks Schule über die verwahrloste Isa, die als kesse, sexy Göre vom Schrottplatz an Maik gefallen findet bis hin zur biederen Sprachtherapeutin, die Maik und Tschik in der Not hilft – Lumpp füllt jede Station gekonnt mit Leben und lässt die Reise der Beiden lebendig werden. Gespielt wird dabei sowohl auf der Bühne vor einem abstrakten Bild blühender Landschaften auf riesiger Leinwand, als auch im Publikum. Als geklauter Lada dient ein zum Auto verkleidetes Schlagzeug, auf dem der Fahrer in fetzigen Rhythmen oder ruhigem Takt die Geschwindigkeit der Reise darstellt. Eine pfiffige Idee, die den Charakter eines Roadmovies perfekt auf die kleine Bühne eines Kammerspiels transportiert.

Theater wie es sein muss.
Tschick überzeugt auf ganzer Linie. Ohne großen Dekorationsaufwand ziehen die drei Darsteller gekonnt alle Register der Schauspielkunst und überzeugen auf äußerst unterhaltsame Weise in Robert Koalls Bühnenfassung. Das Theaterstück begeistert Jung und Alt zugleich, wenn auch die stellenweise derben Dialoge eher auf Teenagerohren abgestimmt scheinen. Wer noch keine Karten hat, sollte sich welche besorgen. Tschick ist klasse und kann gut und gerne als Tipp für die Burgfestspiele Mayen gehandelt werden. Die meisten Aufführungen sind aus gutem Grund jedoch bereits ausverkauft.